Begriffswirrwarr: Wann ist ein Projekt ein Projekt?

Der Projektbegriff wird im Berufsleben inflationär gebraucht. Die Einführung einer neuen ERP-Software, neue Aufträge von Kunden, die jährliche Weihnachtsfeier… kurzerhand wird alles zum Projekt erklärt. Umgangssprachlich ist das in aller Regel auch kein Problem. Kritisch wird es jedoch, wenn es im Unternehmen vorgeschriebene Vorgehensweisen für die Durchführung von Projekten gibt (Projektorganisation, Projektmanagement etc.) und nicht alle am Vorhaben Beteiligten sich im Klaren darüber sind, ob sie sich schon im Projektumfeld oder noch im normalen „täglichen Arbeitswahnsinn“ bewegen. Dieser Artikel klärt zunächst die formelle Definition eines Projektes. Anschließend werden Unterschiede zwischen Theorie und Praxis und daraus entstehende Problemquellen beleuchtet. Zum Abschluss geben wir Tipps, die helfen sollen, im Begriffsdschungel den Durchblick zu behalten.
Begriffsdefinition
Schauen wir uns also zunächst an, welche offizielle Definition es für den Projektbegriff gibt. Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es dafür keine Norm gäbe. In der DIN 69901 ist ein Projekt wie folgt definiert (andere Quellen wählen ähnliche Definitionen):
Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit aber auch Konstante der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, wie z. B. Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle und andere Begrenzungen; Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben; projektspezifische Organisation.
DIN 69901 „Projektmanagement; Projektmanagementsysteme“
Daraus lassen sich folgende Merkmale ableiten:
- Einmaligkeit
Es handelt sich um ein einmaliges, nicht um ein zyklisches (wiederholtes) Vorhaben. - Zielvorgabe
Es existiert eine oder mehrere klare und messbare Zielvorgaben. Ungeplantes Vorgehen („Wir machen erstmal und schauen, was dabei rauskommt“) fällt nicht darunter. - zeitliche Befristung mit einem klaren Anfang- und Endtermin
Beginn und Abschluss des Vorhabens sind definiert und terminiert. Vorhaben ohne zeitliche Begrenzung gehören zum Tagesgeschäft. - Begrenzungen finanzieller, personeller und anderer Art
Für das Vorhaben stehen festgelegte finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung (Budget). - Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben
Es gibt keine Überschneidungen oder Konflikte mit anderen Vorhaben. Schnittstellen (Ergebnisse aus dem Projekt fließen in andere Vorhaben ein und umgekehrt) kann es aber durchaus geben. - projektspezifische Organisation
Das Vorhaben erfordert die Bildung einer separaten Projektorganisation, z.B. als Projektteam. Projektleiter haben in der Regel Weisungsbefugnis gegenüber dem Projektteam. Häufig sind verschiedene Fachrichtungen beteiligt (Interdisziplinarität). Nach Abschluss des Projektes wird die Projektorganisation wieder aufgelöst.
Mit einer Checkliste aus diesen sechs Punkten lässt sich jedes Vorhaben schnell überprüfen, ob es sich dabei um ein echtes Projekt handelt oder der Begriff fälschlicherweise verwendet wird. Im Detail lassen die einzelnen Kriterien natürlich immer noch einen gewissen Interpretationsspielraum zu. In der Praxis liefern sie aber meist gute Hinweise.
Die Merkmale lassen sich auch dafür nutzen, um zu überprüfen ob ein Projekt hinreichend genau beschrieben wurde. Klar definierte Projekte sorgen dafür, dass die Ressourcen eines Unternehmens sinnvoll (also wirtschaftlich) eingesetzt werden.
Beispiele
Die anfangs erwähnte Einführung einer ERP-Software wird in der Regel unter den Projektbegriff fallen. Die vorstehend genannten Merkmale sollten jedoch dafür genutzt werden um zu überprüfen, ob das Projekt ausreichend genau definiert wurde: Welche Ziele werden verfolgt? Wann beginnt und endet die Einführung der Software? Stehen ausreichend Ressourcen zur Verfügung? Wurde ein Projektteam gebildet?
Anders sieht es bei der Organisation der jährlichen Weihnachtsfeier aus: hier fehlt es an der Einmaligkeit des Vorhabens (jährlich wiederkehrend) und auch eine separate Projektorganisation wird in der Regel nicht erforderlich sein. Bei großen Firmenjubiläen (z.B. der 25. Firmengeburtstag) kann es jedoch schon wieder anders aussehen. Diese sind in der Regel einmalig und können aufgrund ihrer Komplexität die Bildung eines Projektteams erforderlich machen. Somit liegt bei Firmenjubiläen häufig ein Projekt vor.
Bei neuen Kundenaufträgen kommt es auf die individuelle Vertragsgestaltung an. Bei einem Lieferauftrag für Standardprodukte oder einem auf Dauer angelegten Dienstleistungsauftrag handelt es sich nicht um Projekte sondern um Tagesgeschäft. Bei Entwicklungsvorhaben, beispielsweise die Erstellung einer individuellen Softwarelösung, wird jedoch häufig ein Projekt vorliegen. Hier hilft es meist, die vertraglich vereinbarte Leistungsbeschreibung genau zu lesen.
Welche Probleme ergeben sich bei der Definition von Projekten in der Praxis?
Zunächst muss festgehalten werden: Häufig ist es kein Problem, im allgemeinen Sprachgebrauch erstmal bei einem beliebigen Vorhaben von einem Projekt zu sprechen, auch wenn die formalen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind.
Schwierig wird es jedoch, wenn der Begriff in offizielle Unternehmensunterlagen Einzug hält, in Verträgen oder Zielvereinbarungen verwendet wird: Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsteht Unsicherheit, welche Rolle sie nun im Unternehmen einnehmen („Bin ich jetzt ein Projektleiter?“) und welche Dokumentationspflichten sich daraus für sie ergeben. Daher sollte hier auf eine klare Differenzierung geachtet werden.
Auch wenn ein Vorhaben die Kriterien für ein Projekt erfüllt können noch Fehler begangen werden. In der Praxis trifft man häufig die Situation an, dass die Vorgaben für die Umsetzung zunächst unklar oder aus dem Bauch heraus getroffen werden. Steht erstmal fest, dass ein Projekt initiiert wird, sollten alle Beteiligten und Interessierte (Stakeholder) darauf achten, dass verbindliche Vereinbarungen zur Umsetzung getroffen werden. Dazu können die weiter oben genannten Kriterien herangezogen werden. Die Vereinbarungen sollten möglichst schriftlich fixiert werden.
Natürlich wird es immer wieder im Projektzyklus vorkommen, dass die Vorgaben angepasst werden müssen. Der Gewinn neuer Erkenntnisse, launische Auftraggeber, Ausfall von Ressourcen können alles Gründe für eine Anpassung der Projektdefinition sein. Hier steht der Projektleiter in der Verantwortung, für die Durchführung dieser Anpassung Sorge zu tragen sonst sind Probleme im Projekt vorprogrammiert (Termine können nicht gehalten werden, Kosten laufen aus dem Ruder etc.).
Tipps für die Praxis
Für Verantwortliche und leitende Mitarbeiter:
- Du musst nicht jedes gesprochene Wort auf die Goldwaage legen. Sobald ein Projekt aber in die offizielle Unternehmensdokumentation und Ressourcenplanung Einzug hält sollte geprüft werden, ob das Vorhaben auch die formalen Kriterien erfüllt und diese hinreichend genau definiert wurden.
- Häufig gibt es in Unternehmen formale Regeln, wie ein Projekt zu bearbeiten ist (durch Festlegungen zu Projektorganisation und -dokumentation). Projekte erzeugen einen unvermeidlichen Overhead. Nutze diese Ressourcen weise und nur für die wirklich wichtigen Vorhaben.
- Definieren eindeutige Ziele und lege die Rollen der Mitglieder des Projektteams unmissverständlich fest. Dies vermeidet Missverständnisse und verbessert den Projekterfolg.
Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter:
- Wenn in Ihrem Unternehmen von einem neuen Projekt gesprochen wird, warte erstmal ab, was am Ende wirklich dabei herauskommt.
- Hast Du Zweifel, ob ein Vorhaben wirklich ein Projekt ist, ist es völlig in Ordnung, diese auch zu äußern (am Besten in einem vertraulichen Gespräch mit Deinem Vorgesetzten). Aber: Besserwisser, die bei jeder Gelegenheit auf die fehlerhafte Verwendung des Projektbegriffes hinweisen, machen sich damit eher unbeliebt. Weise also nur in wirklich berechtigten Situationen darauf hin!
Feedback
Welche Erfahrungen habt Ihr in Eurem Unternehmen mit dem Thema gemacht? Gab es auch mal Missverständnisse oder war allen Beteiligten immer klar, was mit „Projekten“ gemeint ist? Ich freue mich auf Euer Feedback, Anregungen und Kritik im Kommentarbereich.